Die Fabrik steht seit 1921 in Mandello del Lario
Original- TV- Bericht zu diesem Anlass.
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ab Minute: 3:10
24.04.2022
Moto Guzzi: Die Marke mit dem Adler im Emblem wird 100 Jahre alt. Was das italienische Eisenross den Fans bedeutet, weiß keiner besser als Reinhard Bäcker – Händler, Tuner und seit 1976 mit dem Guzzi-Virus infiziert.
Bild: Olaf Tamm / AUTO BILD
Schon die Fassade bringt Moto-Guzzi-Freunde ins Schwelgen. Gelber Bruchstein, metallgerahmte Fenster, alter Industriecharme – das alles erinnert sie an den historischen Firmensitz am Comer See,
Ziel nostalgischer Alpentouren. Der Geist der Marke weht auch im kühleren Münsterland, durch diese ehemalige Weberei in Laer, die längst mehr ist als ein Motorradgeschäft.
Der Macher hinter der Fassade ist Reinhard Bäcker. Rennfahrer, Tuner, Auskenner, Spezialist und zweimal weltbester Guzzi-Händler. Der Mann lebt Moto Guzzi, er atmet Moto Guzzi. Genau der Richtige also für einen liebevoll-geerdeten Blick auf den 100. Geburtstag der Italiener. "Moto Guzzi geht es so gut wie nie", erzählt Bäcker, der den anziehenden Neuverkauf spürt.
Die aktuelle Reise-Enduro V85 TT erobert endlich
mehr Umsteiger, während die V7 solchen Altkunden gefällt, die mit der Einsicht, dass 65 PS reichen, ihre gepflegten alten Sportmotorräder ablegen.
(Bike-Neuheiten für 2022)
Bäckers erste Berührung mit Guzzi: die sportliche 750 S von 1976.
Bild: Olaf Tamm / AUTO BILD
Gemeint sind Maschinen wie die Moto Guzzi 750 S3 von 1976, "meine erste Berührung mit der Marke", wie Reinhard Bäcker schwärmt. "Die fuhr, als hätte jemand alle meine Wünsche erfüllt." Schnell, stabil, klasse Bremsen. "Die Japaner konnten damals nur gute Motoren, aber keine Fahrwerke. Auf der Guzzi hatte ich nach drei, vier Kurven keinen mehr hinter mir."
In seiner Frühzeit baute Moto Guzzi noch Kleinmotorräder, Einzylinder und Rennmaschinen. Die moderne Geschichte begann mit dem charakteristischen V2, dessen Töpfe rechts und links unterm Tank hervorlugen.
Ein Siegerbike abseits der Rennstrecke. Denn die italienische Polizei hatte ein Modell verlangt, das auf der Straße zu reparieren war und zugleich schnell genug, um die immer flotteren Autos in Schach zu halten. Moto Guzzi gewann den Auftrag mit der ersten V7 und baut seit 1967 in vielen Versionen diesen längs eingebauten Zweizylinder, der seine Pötte hoch in den Fahrtwind reckt und nebenbei mehr Schräglage erlaubt als der BMW-Boxer. Er wurde Guzzis Markenzeichen.
Die Vierventil-Zylinder hatten anfangs Kopfschmerzen – nichts, was Reinhard Bäcker nicht hinbekäme.
Bild: Olaf Tamm / AUTO BILD
"Mit der 750 S3 konnte ich am Wochenende auf die Rennstrecke, zurück nach Hause und kurz umbauen für sechs Wochen Urlaub auf Korsika – alles kein Problem", erinnert sich Bäcker. Die robuste Bauweise der Maschinen lockte die Selbstschrauber – auch solche, die es nicht konnten. Die ruinierten erst nur ihre Maschinen, dann den Ruf der Marke gleich mit.
Teuer waren Moto Guzzi schon immer, nun galten sie auch als kapriziös. Zu Unrecht, man müsse eben nur wissen, wie’s geht, meint der Händler. Laufleistungen von 100.000 Kilometern und mehr sind bei der ersten Überholung keine Seltenheit.
"Die Marke hatte zwei Sorten Käufer – entweder Sportler oder Vielfahrer, die richtig weit reisen." Erstere bekamen ihre "Le Mans" in verschiedenen Generationen, die anderen die Tourer oder gleich eine California – so hießen schon Europas frühe Harleys, mit Frontscheibe und Trittbrettern. Nur hatte die Guzzi viel bessere Bremsen. Der Marke ging es Mitte der Achtziger glänzend. Reinhard Bäcker startete bei der Battle of Twins, einer Rennserie für Zweizylinder, die mit den Jahren immer mehr Pfeffer kriegten. Aber irgendwann zogen ihm die schnellen Ducati auf den Geraden davon.
Die Konkurrenten, auch die Japaner, hatten aufgeholt und blieben konsequent am Gas. Moto Guzzi brachte die nächste, diesmal mit Plastik verkleidete Le Mans, die von der Fan-Gemeinde die verbale Höchststrafe erhielt: "Joghurtbecher", das Schimpfwort für vollverschalte Japaner. Erst kamen die falschen Modelle, dann ein neuer Firmenbesitzer, der kein Gespür für seine Kunden besaß. "Das war die Zeit, als Moto Guzzi die Sportfahrer an Ducati verlor."
Zeitlose Schönheit: die Griso (2006 bis 2011) mit top Fahrwerk und Bremsen.
Bild: Olaf Tamm / AUTO BILD
Die Marke erholte sich nur langsam. Die neuen Modelle waren im Detail klasse, doch mal fehlte die Werbung, mal die Strategie. Die Quota kam schon 1992 als Gegner der BMW-GS – "aber seine Starts bei der Paris-Dakar-Rallye hat Guzzi nie werbewirksam ausgenutzt", kritisiert Bäcker.
Die Centauro glänzte ab 1996 mit aufwändiger Technik, aber wie sah die denn aus? Ihr schwülstiges Design fiel durch. Die "Griso" von 2006 wiederum ist so klasse, dass Reinhard Bäcker gleich zwei fährt: eine drehfreudige 850er als Lieblings-Bike im Alltag, eine getunte 1200er für die letzten wilden Stunden auf der Rennstrecke.
"Die Griso war der beste Zweiventiler ever. Die erste Guzzi, die federn kann." Ob sie ein Retro-Hit geworden wäre wie später die BMW R Nine-T? Wer weiß. "Die Griso weckt so viel Vertrauen, die macht dich zum besseren Motorradfahrer."
Endlich hatte eine Guzzi mal das hochmoderne Entwicklungszentrum von Aprilia durchlaufen, wo auch deren Werksrenner das Siegen lernen. Da war Moto Guzzi wieder übernommen worden, erst von Aprilia, dann von Piaggio.
Diese Zeit erlebte Reinhard Bäcker schon als Händler. Zuerst in seiner freien Werkstatt, dann als Marken-Dealer, der seine Passion zum Beruf machte. Zweimal, 2007 und 2009, wurde er zum besten Moto-Guzzi-Händler weltweit gekürt.
Auch weil seine Firma von Reparatur bis Tuning alles bietet, was seine Hallen in Laer heute in ein kleines Werksmuseum verwandelt. Da stehen die Gebrauchten mit Patina, etwa die Guzzi, die Clint Eastwood in "Dirty Harry" fuhr.
Daneben die aufbereiteten Klassiker, in allen möglichen PS-Stufen und Preisklassen. "Guzzi ist wie ein großer Lego-Baukasten, wo die verschiedenen Teile zusammenpassen." Und was nicht passt, baut der Kenner an der eigenen Drehbank nach oder besorgt es in seinem weltweiten Netzwerk.
Öl, Gummi und Espresso: der Duft in der Werkstatt, wo gerade neue Maschinen auf den Bühnen warten.
Bild: Olaf Tamm / AUTO BILD
Mit dem Alter wuchs sein Interesse auch an älteren Guzzis, aus der Ära vor den V2. Gerade hat er eine rote Lodola aus seinem Geburtsjahr 1958 restauriert. Auf diese Wiedergeburt wartet daneben ein Galletto-Roller, wie ihn Bürgermeister Peppone in Don Camillo fuhr. Seine Wurzeln kann Reinhard Bäcker dennoch nie verleugnen: "Immer wenn ich die Guzzi-Chefs treffe, sage ich ihnen: Die Marke braucht ein Sportmotorrad." Es gibt Gerüchte, der Kenner würde im Jubiläumsjahr erhört.