In Davos tritt Greta auf, es gibt eine neue Schweizer 100er-Note.
Das erste Foto eines Schwarzen Lochs macht ein paar Schlagzeilen, Meghan und Harry präsentieren ein Baby, der Brexit wird verschoben, «Game of Thrones» kommt zu einem Ende, und der Sommer ist zu warm.
Das war 2019, so ungefähr.
Es könnte aber sein, dass dieses langweilige Jahr trotzdem in die Geschichte eingeht als das unbeschwerteste und das freieste (was die
Freiheit des Reisens betrifft, bin ich mir sogar sicher, dass es so sein wird), das uns für lange zuteilgeworden ist.
Ich bin der Typ, der das Positive zu sehen versucht. Doch langsam hängt das 21. Jahrhundert an, finde ich.
Insbesondere die Bilanz der 20er Jahre ist bis dato ja wirklich der Downer. Erst diese endlose Pandemie.
Und genau in dem Moment, in dem man meint, man könne etwas entspannen und sich zur Abwechslung wieder einmal auf das konzentrieren, was zum Beispiel Heidi Klum so treibt, oder
seine Energie darauf verschwenden, sich über das neueste in der Reihe unterirdisch schlechter Bücher von Martin Suter aufzuregen, kommt dieser russische Staatsverbrecher daher,
zerreisst alle Verträge, die der Welt der letzten siebzig Jahre eine minimale Ordnung gaben, und droht uns mit dem Armageddon.
Und davon, dass sich die Zeichen mehren, dass dieser Klimawandel vielleicht doch recht ungemütlich werden könnte, wollen wir an dieser
Stelle gar nicht auch noch anfangen (oder vom Thema China-Taiwan, was ja vermutlich dann auf «Ukraine reloaded in the Pacific» hinauslaufen dürfte und uns zweifellos in den nächsten
Jahren auch noch intensiver beschäftigen wird).
Mein bewährter geistiger Beistand in schweren Stunden ist Arthur Schopenhauer.
Schopenhauer gilt ja als der grosse Deprimierer der Philosophie, aber das ist ein Missverständnis. Schopenhauer vertritt die Meinung,
dass der Weg zum Seelenfrieden durch die Resignation führt. -> oder wie ich, Gody sage: "Bevor ich mich aufrege, ist es mir lieber egal..."
Das klingt zwar paradox, aber das ist genau das, was auch der Zen-Buddhismus lehrt.
Unglück ist nur so lange ein Unglück, wie man davon ausgeht, es gebe einen Ausweg.
Und so übe ich mich nun wieder einmal darin, davon auszugehen, dass es für immer so elend bleibt, wie es ist. Hat man das geschafft, kann man aufhören, sich über das Grosse und
Ganze Sorgen zu machen, und sich dem nächsten Move im Hier und Jetzt widmen, was für krisenhafte Momente offenbar übrigens auch die Anonymen Alkoholiker predigen.
Für mich wäre das wohl, endlich diesen Panzer aus Holz auf meinem Fensterbrett wegzuräumen. Ich habe ihn 2015, während einer Reportagereise durch die Ukraine, auf einem Flohmarkt in Kiew gekauft. Ein Panzer, der aussieht wie ein anthroposophisches Spielzeug, ein Gegenstand also, der zu einer ironischen Grundhaltung passt.
Aber vielleicht ist es wirklich Zeit, mit der Ironie mal kurz Pause zu machen. Oder doch nicht?
Ich scheine noch immer zu viel Hoffnung zu hegen.
Christoph Zürchers Therapiegruppe gegen die Zumutungen des Zeitgeschehens beitreten: christoph.zuercher@nzz.ch
NZZ am Sonntag Magazin - 10/2022